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DAS GEMEINDEZENTRUM STAUFENBERG
 

Das Staufenberger Gemeindezentrum.
Eine Chance für Kirchberg?


von: Günter Hans
aus: Staufenberg. Stadt zwischen Lumda und Lahn. Hrsg. zur 750-Jahr Feier der Stadt im Jahre 1983.




 
 

Noch um die Jahrhundertwende wäre der Gedanke an eine "funktionale Säkularisierung" bzw. "Entmündigung" der Kirche von Kirchberg nicht möglich gewesen. Kirchberg war unbestrittener kirchlicher Mittelpunkt der Gemeinden Lollar, Daubringen mit Heibertshausen, Mainzlar, Staufenberg mit Friedelhausen und Ruttershausen. Diese historisch gewachsene Funktion wird noch unterstrichen durch die von den einzelnen Ortschaften nach Kirchberg hinführenden Kirchwege und -Pfade bzw. dem Kirchberger Weg, meist nur sonntags begangen von Personen in den dem Gottesdienst angemessenen, aber durchaus farbenprächtigen, landschaftlich geprägten Trachten, die gleichfalls Rückschlüsse über Familienstand, Herkommen und berufliche Funktion zuließen.




 



 

Selbst Filialkirchen in Lollar, Staufenberg bis 1838 und Mainzlar änderten für den Kirchenbesucher nichts an dieser Funktion. Vielmehr war man ängstlich darum bemüht, die Verbindungen zur Mutterkirche sehr fest zu gestalten. Als im Dezember 1905 die Filiale Sichertshausen von der Muttergemeinde Treis a. d. Lumda abgetrennt wurde und dem betreffenden Pfarrer zu Treis als Ersatz die Betreuung der Gemeinde Mainzlar durch einen sonntäglichen Nachmittagsgottesdienst aufgetragen wurde, schrieb der Pfarrer zur Kirchberg, Gußmann, in der "Pfarrchronik Kirchberg": "Wir sind der Kirchenbehörde für ihr Wohlwollen und ihre Absicht, dem hiesigen Geistlichen Erleichterung zu schaffen, zu großem Danke verpflichtet. Ob aber die Neuordnung sich auf die Dauer wird durchführen lassen, muss die Zukunft lehren. Die Gemeinde Mainzlar will unter keinen Umständen vom Gesamtkirchspiel los und ist durch die neue Ordnung doch bedeutend in ihrem Verhältnis zur Mutterkirche Kirchberg gelockert."

Neben den üblichen Gottesdiensten, Konfirmandenunterricht und Visitationen waren es Missions-, Reformations-, Gedenk-und Nationalfeiern, die die Bedeutung Kirchbergs hervorhoben. Doch bei genauerer Betrachtung machten sich auch dem kritischen Zeitgenossen Veränderungen bemerkbar, die auf die Dauer gesehen die Funktion Kirchbergs in Frage stellen mussten. Mit der Existenz der Buderus'schen Eisenwerke Wetzlar in Lollar und dem Didierwerk in Mainzlar wuchs auch die Bevölkerung in den Kirchspielsgemeinden Kirchberg. Der von Haus aus getrennte Arbeitsplatz, der dem gewöhnlichen Tagesablauf widersprechende Arbeitsrhythmus wie auch die zeitgebundene Bewältigung der erforderlichen Berufswege, die Ausweitung der Schulentwicklung u. a. führten zu ersten Reaktionen von selten der kirchlichen Behörden in bezug auf Betreuung, Amts-und Gottesdienstorganisation.

"Auf Trinitatis (1909 --Sonntag nach Pfingsten) fand im Saale der Kleinkinderschule (im ehemaligen Adelshaus) zu Daubringen der erste Gottesdienst statt." Er wurde im Rhythmus von 4 Wochen, später alle 14 Tage abgehalten. Die Gemeinde Mainzlar, von Treis aus betreut, war beleidigt und fühlte sich zurückgesetzt, weil sie, was den Predigtgottesdienst anlangt," . . . die Arbeit des zuständigen Geistlichen entbehren müssten." Daraufhin wurde eine Pfarrassistentenstelle eingerichtet. Kirchenvorstand und Kirchengemeindevertretung von Staufenberg beschlossen 1912, "einen Versuch mit monatlichem Gottesdienst im Rathaussaale zu machen". Später heißt es: "Die Einrichtung des monatlichen Nachmittagsgottesdienstes in Staufenberg ist gelungen und hat Anklang in der Gemeinde gefunden." Andere Veranstaltungen wie Gemeindeabende, Filmvorführungen wie auch sonstige Feierlichkeiten wurden in Räumlichkeiten der am Ort befindlichen Gastwirtschaften oder den in dieser Zeit neu entstandenen Schulsälen abgehalten. Es kam bis dahin niemand auf den Gedanken, außerhalb Kirchbergs als gemeindliches Zentrum weitere Räumlichkeiten kirchlicher Art zu errichten, obwohl die Raumenge durchaus spürbar und vorhanden war. Man sprach bei (sehr) guter Beteiligung höchstens von einer "Uberfüllung" der Lokalität(en). An der geschilderten Situation änderten weder der 1. Weltkrieg noch die folgende Friedenszeit etwas. Und während des II. Weltkrieges wurde Kirchberg nur alle 2 Wochen durch Pfarrer Gustav Schmidt aus Treis a. d. Lumda betreut, nachdem die beiden Geistlichen des Kirchspiels zum Militärdienst eingezogen worden waren. Die Aussage: "Leider waren (die Gottesdienste) nur sehr mäßig besucht", macht deutlich, dass neben den täglichen Sorgen nun auch eine kritischere Haltung den Gottesdienstbesucher bestimmten, die aber noch nicht offen ausgesprochen wurde. Eine nach dem Krieg einsetzende neue kirchliche Bewegung forderte eigene Gotteshäuser in den jeweiligen Ortschaften, wie überhaupt die nächsten 20 Jahre sich als ein Zeitraum des Kirchenbaues herauskristallisieren sollte. Lollar erhielt 1951 ein neues Pfarrhaus und nach 2jähriger Bauzeit am 6. September 1959 eine eigene Kirche. In Mainzlar wird 1953 die Kirche restauriert. Kirchberg folgt 1959 mit der Renovierung des Konfirmandensaales und dem Umbau der Scheune zu kirchlichen und gemeinnützigen Zwecken. Die Folge war ein steigender Besuch der kirchlichen Veranstaltungen. Die Restaurierung der Kirchberger Kirche (ab dem 6. April 1961) bildete den letzten Höhepunkt dieses Mittelpunktes mit der anschließenden Einweihung im Jahre 1963.

Die Gründung der Pfarrstelle Kirchberg III mit Sitz in Daubringen am 1. April 1968 und die Einweihung einer neuerbauten Kirche am 13. Juli 1970 zeigt den vorläufigen Abschluss einer Entwicklung, die der Kirche von Kirchberg nur noch eine historische und kunsthistorische Funktion zubilligte. Dass man diese Entwicklung auch im Kirchenvorstand erkannt hatte, zeigt eine Sitzung vom 2. Februar 1972, die sich mit dem "Schicksal des Kirchbergs" befasste. Auslöser war die verwaltungsmäßige Angliederung von Ruttershausen an Lollar im Rahmen der Gebietsreform und der dadurch bedingte Schulbesuch Ruttershäuser Schüler in Lollar, wodurch "Kirchberg immer mehr in eine Randlage" zu geraten drohte sowie der Bau der B 3 A (A 49), der "die Trennung von Staufenberg verstärken" würde.

Der Wohnortwechsel von Pfarrer Simon nach Mainzlar zog erste Zerstörungen an Pfarrhaus und Kirche nach sich. Bemühungen zur Beseitigung dieses Zustandes führten dazu, dass das Pfarrhaus auf Erbpachtbasis an Prof. Bauer aus Gießen verkauft wurde, der seinerseits, unterstützt von dem ehemaligen Bürgermeister Graumann aus Lollar, anregte, Konzerte in der Kirche zu Kirchberg zu veranstalten, die bis heute weitgehend Beachtung fanden. Die bis dahin - vermutlich - nur in persönlichen Gesprächen erörterten Zukunftsaussichten über die weitere Mittelpunktfunktion Kirchbergs und einem  -eventuellen - Bau eines Gemeindezentrums in Staufenberg werden durch die kirchliche Abtrennung von Ruttershausen und dessen Eingliederung nach Lollar konkretere Formen angenommen haben. Der Wunsch des am 15. Mai 1976 verstorbenen beliebten Pfarrers Simon, "die Kollekte für ein Abendmahlsgerät im zukünftigen Gemeindezentrum (!) Staufenberg-Mainzlar (zu) verwende(n)", macht deutlich, dass die Diskussion um ein Gemeindezentrum schon längere Zeit bestanden hatte.

Am 24. Juni 1976 konstituierte sich der Bauausschuss für dieses Zentrum. Die Diskussion um Größe und Bauausführung wurde durch einen Besuch von Pfarrer Boge mit dem 1. Vorsitzenden des Kirchenvorstandes, Dietz, und Kirchenvorsteher Wisker sowie Architekt Rohrbach aus Wißmar bei der Kirchenbauverwaltung in Darmstadt dahingehend beendet, dass man sich auf 210 qm umbauter Fläche einigte und Kirchberg zu den auf 670 000 DM veranschlagten Baukosten Eigenmittel in Höhe von 400 000 DM erbringen musste.

Nach den am 23. März 1978 begonnenen Bauarbeiten fand die Grundsteinlegung am 4. Juni 1978 statt. Anwesend waren neben der zahlreich erschienenen Bevölkerung Dekan Münch (Treis), Pfarrer Schulte (Lollar), Pfarrer Schmidt der katholischen Gemeinde in Lollar, der Kirchenvorstand unter dem Vorsitz von Ernst Dietz, Pfarrer Boge (Staufenberg/Mainzlar) und Nitsch (Daubringen) sowie Architekt Rohrbach aus Wißmar. Die Einweihung dieses Zentrums fand am 24. Juni 1979 statt.

Damit ergab sich nun die Möglichkeit, den Anforderungen der Zeit an die Kirche mit neuen Formen der Gemeindebetreuung zu antworten, was bisher vor allem an den fehlenden Räumlichkeiten scheiterte. Der "Versammlungsteil" setzt sich aus zwei verschieden großen Sälen und einem Klubraum zusammen, der der Jugend befindet sich im hinteren Gebäudekomplex mit den dazugehörigen sanitären Einrichtungen und einem Abstellraum. Der den dienstlichen Obliegenheiten zur Verfügung stehende Bereich besteht aus dem Vorzimmer, einem Pfarrbüro und dem Archivraum. Alle drei Raumgruppen ordnen sich um das Foyer an, das mit einem Treppenturm auch nach außen hin den Mittelpunkt des Gebäudes bildet.

Kirchberg selbst ist bei all den getroffenen Maßnahmen zum Glück nicht aus der Diskussion geraten. Die Bemühungen, das historisch gewachsene Kirchberg einer neuen Funktion zuzuführen, scheinen gelungen zu sein. Die in einem zweiwöchigen Rhythmus stattfindenden Gottesdienstveranstaltungen in dem Gemeindezentrum und Kirchberg werden, wie schon oben erwähnt, durch die in unregelmäßigen Abständen stattfindenden Veranstaltungen musikalischer Art ergänzt. Damit ist auch die zukünftige historische Kontinuität gesichert, wobei die Akzentverlagerung auf die kulturelle Komponente für Kirchberg neue Maßstäbe setzen könnte.