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1928
 

Im Sommer des Jahrganges 1925 hat die "Heimat im Bild" eine Beschreibung der Kirche in Kirchberg gegeben. Das Wesentliche davon sei zunächst kurz wiederholt, einiges dazu ergänzt. Die Kirche stammt aus dem Jahre 1495. Nach einer Schenkungsurkunde von 1485 war sie "Unserer Lieben Frauen" geweiht. Man findet die Zahl des Erbauungsjahres in der damals noch üblichen Schreibweise. Über der Zahl die Stifterwappen von Schabe (mit dem Schabeeisen) und von Rau (Querbalken), beides Adelsgeschlechter der Burg Staufenberg. Als das Schiff gewölbt wurde, waren die Stifter auch die von Rolshausen hinzugetreten, deren Wappen kombiniert mit einem Kleeblatt (Milchling oder Trohe), an einer Konsole unter den Rippen der Westmauer zu sehen ist. Dann findet sich noch der Stern von Ziegenhain an einem Gewölbeschlussstein und über der Heiligen-Nische.

Die Kirche ist zweischiffig, hat ein Hauptschiff und ein nur wenig schmaleres Seitenschiff im Norden, beide mit Kreuzgewölben überdeckt. Das Hauptschiff setzt sich nach Osten zu in einem breiteren Chor fort, der mit 3 Seiten des Achteckes schließt. Er ist mit einem Netzgewölbe überspannt. Über dem Scheitel des Ostfensters sind in Stein gehauen die Wappen derer von Schabe, Rau und Rolshausen. Auf dem Gewölbe wurde nach Beseitigung des alten Anstriches jetzt wieder ans Licht gebracht die Jahreszahl MVVM (1508).

Eine wundervolle Kirche. Ihre Bedeutung liegt in der Schönheit des Raumes. Schlanke Säulen von runden Querschnitt ohne Schmuck tragen die Gewölbe. Die Säulen betonen nicht eine Scheidung der Schiffe, wie es sonst Arkaden in den Kirchen des frühen Mittelalters tun. Auch keine Trennung zwischen Stütze und Decke gibt es, kein Kapitell. Auch keine Trennung der Gewölbejoche durch Gurtbögen; die Rippen, die an deren Stelle stehen, sind ebenso wie die Scheiderippen den Kreuzrippen gleich gebildet. Eine einheitliche ruhige Decke ist geschaffen. Allein der etwas spätere Chor ist vom Hauptschiff durch einen Triumphbogen getrennt. Die Rippen im Chor aber sind die gleichen, wie die im Schiff; nur ist die Decke hier noch einheitlicher, weil dem Netzgewölbe die Gurtrippen fehlen. Im Äußeren fällt die Stellung und Form des Turmes auf (Abb. 1). Er steht seitlich, ist im Grundriss rechteckig, nicht quadratisch, die Stärke seiner Mauern ist verschieden. Jedenfalls ist er nicht gleichzeitig mit dem Schiff erbaut worden, sonderen stammt von einer älteren Kirche her. Aus welchem Grund man ihn im Jahre 1495 nicht höhergeführt hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Auf altgeheiligter Stätte steht das in so macher Hinsicht eigenartige Bauwerk und beherrscht weihin das Lahntal nach oben und nach unten. Um so mehr wäre ein höherer Turm am Platze gewesen. Aus der älteren Kirche stammen auch die Glocken: von 1310, 1380 und 1432.

Jene Beschreibung der Kirche vom 1925 hatte den Nebenzweck, den Gemeinden des Kirchspiels die Schönheit und Eigenart der Kirche eindrücklich vor Augen zu führen und ihnen zu sagen - falls es dessen noch bedurft hätte -, wie notwendig es war, das Gotteshaus seiner großen Bedeutung entsprechend in würdigen Zustand zu sehen. Das ist nun geschehen, die Kirche ist mit aller Sorgfalt wiederhergestellt. Und wenn die "Heimat im Bild" dazu mitgehofen hat, so sei ihr hiermit aufrichtiger Dank ausgesprochen. Aber die Gemeinden legen mit Recht Wert darauf, dass die Leser dieses Blattes auch erfahren, welche Veränderungen in und an der Kirche vorgenommen wurden. Zunächst im Innern: Der Chor ist frei geworden von der Orgel und den Emporen, die den Raum beengten, die die Ostfenster durchschnitten und infolge der Ausschaltung des Mittelfensters ihre schöne Reihung nicht zur Geltung kommen ließen. Man vergleiche Abb. 5 und 6. Rücksichtslos hatte die Empore den Raum in halber Höhe geteilt, hatte auch an den Grabsteinen die Befrönungen verdeckt.

Jetzt ist alles frei geworden. Frei geworden und zugleich gehoben ist auch der sehr schöne, kräftige Kruzifixus, der nun nicht mehr mit den Füßen unmittelbar auf der Altarplatte aufsitzt. Er ist zum Brennpunkt des Chorraumes gemacht, über dem das Rippengewölbe wie eine mächtige Glocke sich rundet. (Vermutlich hat der Kruzifixus einst im Scheitel des Triumphbogens gehangen. Die Altarkreuze mit Corpus, die erst später aufkamen, waren kleiner, in älterer Zeit freilich nie so klein, wie in den letzten Jahrzehnten die nippsachenartigen Kreuze, die mehr für den Geistlichen als für die Gemeinde bestimmt erscheinen.) Die drei Chorfenster haben farbige Bildeinlagen durch Prof. Linnemann, Frankfurt a.M., erhalten, welche die Auferstehung und die vier Evangelisten darstellen. Die Reihe dieser farbeigen Bilder lässt die Fenster noch mehr als rahmenarigen Kranz des den Raum beherrschenden Kruzifixes erscheinen.

Auch in die Malwerke sind farbige Scheiben eingelegt. Eine kleine alte Scheibe des 14. Jahrhunderts - Engel mit Fackel und Ährenbüschel - hat im Chor wieder Verwendung gefunden. Ebenso eine Scheibe mit der Mutter Gottes aus der Erbauungszeit der Kirche. Eine Lutherrose ist neu eingefügt. Die Ostwände des Chores werden unten durch ein zweireihiges, schlichtes Gestühl abgeschlossen, welches dem monumentalen Raum etwas von dem Wohnlichen wiedergibt, das es früher durch seine Emporen besessen hatte.

Die Grabdenkmäler sind nunmehr in ihrer vollen Form und Schönheit sichtbar gemacht; Teile ihrer Bekrönungen, die an anderer Stelle gelagert waren, sind ihnen wiedergegeben, und die alten Farben, die sich noch erkennen ließen, wieder zur Geltung gebracht. Es sind zum Teil überreiche Stücke, echte Zeugen einer allzu schmuckfreudigen Zeit. An der Nordwand des Chores steht das Denkmal des ehemaligen hessischen Hofmarschalls Friedrich von Rolshausen (gest. 1564) und seiner Gemahlin Anna von Ehringshausen (gest. 1582). Friedrich von Rolshausen war Erbauer von Friedelhausen. Ferner steht dort das Denkmal des Philipp von Rolshausen (gest. 1605) und seiner Gemahlin Elisabeth von Schwalbach (gest. 1613) (Abb.10).

In die Ostwand eingemauert ist die Marmortafel von Anna Augusta Wittib von Gelle uff Friedelhausen (geb. Wolffen von Gutenberg, geb. 1614, gest. 1699). Ihr eigentlicher Grabstein steht außen an der Südmauer der Kirche. Unter dem gegenüberliegenden Fenster ist der Wand eingefügt der Gedenkstein des Benediktus von Düring, wenland fürstl. hess. Darmst. Obristlieutenant, Burgmann zu Hornburg usw., vermählt 1693 mit Johanne, Luise von Gelle auf Friedelhausen, gest. 1732. Und schließlich steht in der Südwand noch ein drittes prunkhaftes Denkmal aus der Zeit der deutschen Renaissance, das des Eberhart Magnus von Rodenhausen (gest. 1587) und seiner Gemahlin Margarete, geb. Reußer (gest. 1586).

Die Orgel wurde aus dem Chor entfernt. Das geschah nicht aus grundsätzlichen Gründen, nicht etwa, weil man der Ansicht war, eine Orgel gehöre nicht in den Chor. Hat man doch gerade in jener Zeit, wo sich zuerst ein wirklich protestantischer Kirchenbau durchgesetzt hatte, kurz vor dem Dreißigjährigen Kriege, mit Vorliebe die Orgel im Angesicht der Gemeinde aufgestellt, bei mittelalterlichen Kirchen im alten, katholischen, nunmehr etwas entwerteten Chor. Hier aber in Kirchberg überwog der Gewinn des schönen freien Raumes alle anderen Bedenken. Die Orgel mit den Emporen musste beseitigt werden. Aber wohin mit ihr? Sie auf die Westempore zu bringen - ein Gedanke, der am nächsten lag - ging nicht an, denn dort wären die besten Plätze verlorengegangen. Dieser Gesichtspunkt war jedenfalls auch in der Zeit um 1600 für die Aufstellung der Orgeln im Osten mit maßgebend gewesen. In Kirchberg waren es alte festersessene Männerplätze, die hätten preisgegeben werden müssen; und misslich ist es überhaupt auf dem Lande, eine althergebrachte Platzverteilung ändern zu wollen. Die Orgel hat dann einen schönen Platz gefunden am Ostende des Seitenschiffes, wo das alte gute Gehäuse der Rokokozeit allen Besuchern der Empore und auch einem Teil der unten Sitzenden sichtbar ist. Sonstige Änderungen, die aus Zweckmäßigkeitsgründen getroffen wurden, sind hier kaum zu erwähnen, wie die Anordnung einer neuen Emporentreppe an der Orgel, die Beseitigung des herrschaftlichen Stuhles, des "Friedelhäuser Stuhles", aus dem Erdgeschoss des Turmes, die Zuziehung dieses Turmraumes zur Kirche, wobei die durch Beseitigung der Chorempore verloren gegangenen Sitze wiedergewonnen wurden.

Im Turmraum hat man die alten Brüstungen des Herrschaftsstuhles für die neue Empore wieder verwandt. Die farbige Behandlung des Innenraumes lässt sich in ihrer Wirkung mit Worten nicht schildern. Man gehe hin und sehe sich die Kirche an. Reste alter Malereien waren nicht zu finden, außer an dem Bogen des Turmraumes, der einst den Herrschaftsstuhl umschloss. Diese hat man wieder aufgefrischt. Im übrigen galt der Grundsatz, daß die Malerei die Architektur zu heben habe. Die Wand des Chores hat man durch eine gleichmäßige Quaderung, die Gewölberippen des Chores durch begleitende Linien vor den Wänden und Gewölberippen des Schiffes ausgezeichnet. Die Rippen des Chores sind grau, die des Schiffes rot wie die Säulen, aus denen sie herauswachsen. Die Weihekreuze im Chor wurden wiederhergestellt, die Grabsteine nach alten Resten farbig behandelt. Im Schiff hat man die Brüstungen der Emporen mit neuen, freihändig und flott gemalten Ornamenten versehen. Anders ging es nicht. Die Emporenbrüstungen sind nun einmal überall und immer bemalt worden mit Figuren oder Bildern oder Ornamenten. Die kräftige Horizontale, die sich dadurch bildet, ist in Kirchberg den hochstrebenden Säulen zugute gekommen. Maler Hermann Velte aus Niederramstadt war es auch hier, der der großartigen Innenarchitektur das angemessene farbige Kleid zu geben wusste.


Auch im Äußeren ist manches geschehen, was jetzt nach Vollendung kaum beachtet wird, da es selbstverständlich erscheint. Wenn damals, als man die Emporen in den Chor einfügte, das südliche Chorfenster um mehr als 1 Meter nach unten zu bis tief in den Sockel hinein verlängert wurde, um dem Raum unter den Emporen etwas Licht zu geben - eine barbarische Maßnahme! - , so hat man jetzt das alte Fenster wiederhergestellt und den Sockel mit seinem Gesims ergänzt. In gleicher Weise brachte man ein Südfenster des Schiffes, welches ebenfalls rücksichtlos nach unten verlängert worden war, um eine Flur von außen zur großen Westempore zu schaffen, auf seine alte Form . Dabei wurden auch die einst in roher Weise beseitigten Mittelpfosten der Fenster wieder eingefügt. Dass man in der Südwestecke das Fenster unterhalb des Gesimses neben der Nische kleiner machte, ist sicher ein Gewinn.

Man wird sich eines entrüsteten Staunens nicht erwehren können, eines Staunens darüber, wie gefühllos, geradezu frevelhaft frühere Jahrhunderte mit dem ererbten Besitz alter Baukunst umgesprungen sind.

Im Äußeren stehen noch einige Grabsteine, die der Vollständigkeit halber erwähnt werden müssen. Ich nenne die Namen der Bestatteten und ihr Todesjahr:
1. Michel Lucht, gewesener Schultheis zu Staufenberg (von Schlesewig) (gest. 1588)
2. Des E. E. Hans Rolshausen Nachgelasene Frau Etling, gest. 1575
3. Georg Halbinner, Pfarrherr zu Kirberg, gest. 20.IV.1611
4. Anna Augusta Wittib von Gelle uff Friedelhausen, geborene Wolffen von Gutenberg, geb. 1641, gest. 1699.

Über den Gedenkstein im Innern ist schon berichtet. Ende Mai 1926 wurde mit den Arbeiten begonnen und am 10. Oktober desselben Jahres konnte die Weihe stattfinden. Die Aussicht über die Arbeiten führte das Kreisbauamt Gießen, insbesondere der damalige Regierungsbeamte Schneider.

Drei bedeutsame Kirchen in der Nähe Gießens, in den Zeiten mangelnden Verständnisses vernachlässigt und zum Teil arg verunstaltet, konnten in den letzten Jahren instand gesetzt werden: 1925 die Kirche in Wieseck, 1925/26 die in Heuchelheim, über welche die "Heimat im Bild" bereits eingehend berichtet hat, und 1926 die in Kirchberg.

Die in Kirchberg ist architektonisch die wertvollste von den dreien. Von dem, was in ihr jetzt geschehen ist, haben die Gemeinden des Kirchspieles zunächst den Gewinn. Gewinn aber hat zugleich die ganze Öffentlichkeit, und es liegt aller Anlass vor, dem Weitblick der kirchlichen Vertretung des Kirchspiels Dank und Anerkennung zu zollen, dass sie unter Führung ihres verständnisvollen Pfarrers dem Rate des Denkmalpflegers in allen Einzelheiten folgte und ein schönes, wenn auch bescheidenes Werk edelster Baukunst der Welt zurückgab.