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GESCHICHTEN UM DEN KIRCHBERG, SCHNEIDER
 

Textauszug aus: Das Kirchspiel Kirchberg. Ein Heimatbuch von Ernst Schneider. Erschienen im Selbstverlag des Verfassers Ernst Schneider; Lollar, 1964, Seite 16 - 21




 
 

Kirchberg ist älter als Ruttershausen. Es wird im Jahre 1227 zum ersten Mal urkundlich erwähnt; ein Pfarrer Reinherus wird in diesem Jahr ernannt. Der ursprüngliche Name war Kyrberg, änderte sich 1237 in Kircperg und 1350 in Kirberg. Im Volksmund heute "Kirbirch". 1237 wird das "Gericht Kirchberg" genannt, als die Grafschaft Rucheslob durch die Herren von Merenberg auf Gleiberg an das Erzstift Mainz verkauft wurde. Kirchberg war eines der sechs Gerichte, die nicht verkauft wurden. Die anderen Gerichte waren Gladenbach, Lohra, Reizberg (Oberweimar), Treis und Londorf (Lumda). Das Gericht Kirchberg umfaßte darnals außer den Dörfern Lollar, Mainzlar, Ruttershausen noch Wißmar, Odenhausen und Salzböden; später kam Staufenberg hinzu. Kirchberg war im Frühmittelalter ein wehrhafter, Gleiberg-Merenberg-Nassauer Gerichts- und Großpfarreisitz und diente gleichzeitig als Sicherung der Furt durch die Lahn. Es wird angenommen, daß die Entstehung der Kirche auf Bonifatius zurückzuführen ist, der öfters in dem nicht weit entfernten Amöneburg weilte. Die erste aus Holz erbaute Kapelle soll von Lullus--einem Schüler von Bonifatius--vielleicht schon zwischen 770 und 780 entstanden sein. Bereits im Jahre 1069 sollen zum Kirchspiel bzw. Gericht Kirchherg die folgenden Orte gehört haben: Staufenberg, Lollar, Mainzlar, Daubringen, Ruttershausen, Heibertshausen (letzteres jetzt nur noch Hof), die Holzmühle, Badenburg, Einshausen (in der Nähe der Holzmüller Tannen),
Deckenbach (zwischen Friedelhausen und Staufenberg). Die Glocken in dem breiten Turm stammen aus den Jahren 1310, 1380 und 1402.

Damals hat Kirchberg gegenüber anderen Kirchspielen schon eine besondere Bedeutung erlangt. Der damalige Pfarrer stand im Range eines Dekans. Fast genau 100 Jahre nach ihrer ersten urkundlichen Erwähnung erfuhr die Kirche zu Kirchberg im Jahre 1327 eine bedeutsame Auszeichnung. Es wurde ihr ein Ablaßbrief ausgestellt, der heute noch vorhanden ist. In diesem Ablaßbrief wird der Kirche und der von ihr abhängigen Kapelle von Wißmar auf 40 Tage Ablaß bewilligt für alle, die die Kirche oder die Kapelle an einem Sonn- oder Feiertag besuchen, der Monstranz oder dem heiligen Öl, das zu den Kranken gebracht wird, nachfolgen oder beim Nachtläuten auf die Knie fallen und drei Ave Maria beten. Das jetzige Gotteshaus ist zwischen 1495 und 1508 als spätgotische zweischiffige Hallenkirche erbaut worden und zählt zu den kunstgeschichtlich bedeutendsten Sakralbauten unserer Heimat. Die Kirche war "Unserer lieben Frau" geweiht.

Die bevorzugte Stellung des Basalthügels, der sich aus dem Tal erhebt und einen weiten Rundblick gestattet, mag zu der Errichtung der Kirche geradezu eingeladen haben. Es ist bekannt, daß die ersten christlichen Missionare in kluger Voraussicht an die Sitten und Bräuche unserer germanischen Vorfahren anknüpften, um Widerstand gegen den neuen Glauben zu brechen bzw. zu verringern. Der Platz, auf dem die Kirche steht, mag eine germanische Kultstätte gewesen sein, wo die Bewohner des umliegenden Landes zu Mark-Versammlungen und Gerichtstagen zusammen kamen. Noch in christlicher Zeit wurde in Kirchberg das "Centgericht" abgehalten. Man sprach damals von dem "Centgericht Kirchherg"; später wurde das Gericht Lollar daraus.

Kirchberg gehörte, ebenso wie Ruttershausen, mit seinen Liegenschaften zur Merenbergschen (Gleiberg) Grafschaft. Im Jahre 1328 starben die Merenberger im Mannesstamme aus. Durch Heirat der Merenbergischen Erbin, der Tochter Hartrads von Merenberg, mit Gaf Johann von Nassau fiel im genannten Jahr das Gericht Kirchberg (mit Ruttershausen) an das Haus Nassau. Graf Johann von Nassau ließ 1366 zum Schutze seiner Liegenschaften, auch um die hessische landgräfliche Verbindungsstraße zwischen Gießen und Marburg zu überwachen und sich den eigenen nördlichen Amts- und Botenweg nach Treis und Londorf zu sichern, eine Burg am wehrhaften Friedhof von Kirchberg bauen. Heinrich II. von Hessen, "der Eiserne", sah die neue Burg bei Kirchberg als eine Bedrohung an. Im Jahre 1372 griff er die Burg an, zerstörte sie und machte "20 wehrhafte Mannen" zu Gefangenen.

Bis zum Jahre 1396 ist Ruttershausen mit Kirchberg alleiniger Besitz von Nassau. Am 21. 7. 1396 tauschte Landgraf Hermann von Hessen mit seinem Schwager Philipp von Nassau die Hälfte von Großen-Linden gegen die Hälfte des Gerichtes Kirchberg. Ruttershausen mit Kirchberg wurde nun von zvei Herren regiert. Die Folgen der zwischen den Standesherren aufkommenden Streitigkeiten mußten die Untertanen tragen. Gleichzeitig kamen beide Mitherren über das Gericht Kirchberg überein, gemeinsam eine Burg zu bauen, wenn sie Staufenberg nicht erhalten könnten. Mit dem Bau der Burg ist wahrscheinlich auch auf dem Altenberg begonnen worden; Grundmauerreste sind noch im Boden nachzuweisen. Der Bau wurde eingestellt, sicher weil der immer stärker werdende hessische Einfluß im Lahn- und Lumdatal die geplante Burg überflüssig machte. 1585 vollzog sich der völlige Obergang des Gerichts Kirchberg-Lollar an Hessen. Kirchberg hat, wie viele umliegenden Orte, in der Vergangenheit manches erdulden müssen. 1629 wütete die Pest. Kriegswirren brachten Unheil. Der Pfarrer von Kirchberg wurde mit Einquartierungen belästigt.

Aus alten Stich von Merian, der an anderer Stelle wiedergegeben ist, geht hervor, daß eine Michaeliskapelle (Friedhofskapelle) vorhanden war. Diese Kapelle hatte einen höheren Turm als die Kirche. Nach der Reformation, die dort 1527 eingeführt wurde, ist die Kapelle aufgegeben worden; im Jahre 1658 etwa wurde sie abgebrochen. Im Laufe der Zeit verschwanden dann noch andere Gebäude, so das Haus des Opfermannes (Kirchenrechner) und das Siechenhaus. Das Haus des Opfermannes, das 1576 wurde, wurde 1838 nach Aufhebung der Glöcknerstelle auf Abbruch verkauft. Es stand zwischen dem Kirchhof und dem Wirtshaus (wahrscheinlich der Hof Geißler).

Der letzte Opfermann von 1813 bis 1838 war Wilhelm Fries. Er wird als grober und übler Mensch, der vor nichts zurückschreckte, geschildert. Er machte dem Pfarrer Klingelhöfer das Leben so schwer, daß man 1838 die Stelle des Opfermanns eingehen ließ, um Fries loszuwerden. Seine Schandtaten waren zu groß. Fries war außer Kirchenrechner noch Kirchendiener, mußte während des Gottesdienstes den Kirchenbeutel herumreichen. Eines Sonntags geriet er dabei mit dem Stadtschultheißen Braun aus Staufenberg in heftigen Wortwechsel. Nach Beendigung des Gottesdienstes erhielt er vom Pfarrer einen scharfen Tadel. In der kommenden Nacht rächte sich Fries damit, daß er dem Schultheiß Braun einen großen Obstbaum ringsum anhieb und dem Pfarrer eine Reihe junger Obstbäume umschlug. Als Fries einmal von der Verbüßung einer Dienststrafe, von denen er mehrere erhielt, aus Darmstadt zurückkehrte, wurde in der Nacht darauf das Denkmal einer Schwester des Pfarrers Klingelhöfer von Grund auf zerstört.

Zum Reformationsfest 1817 wurden am Weg zum Friedhof Lindenbäume gepflanzt - in der folgenden Nacht waren alle umgehauen. Am Pfingstfest war an der Kirchentüre eine Stange aufgestellt mit einem Plakat, auf dem Pfarrer Klingelhöfer als "der schwarze Teufel" und die Ruttershäuser als seine "schwarzen Engel" bezeichnet waren.

Fries schreckte nicht davor zurück, dem Pfarrer die Hühner zu stehlen und dessen Kühe zu melken. Das Schwein des Pfarrers, das abends nicht in den Stall zurückkam, fand man am nächsten Morgen hinter dem Haus des Opfermannes erschlagen auf. Auch in seinem eigenen Haus wütete er in brutaler Weise. Der Frau, die von ihm geschieden war, schlug er ein Auge aus. Wieder einmal saß er in Gießen im Gefängnis; er gab an, er sei krank und müsse dauernd Kot brechen. Dem Arzt schien das verdächtig. Er ließ den Gefangenen beobachten und stellte fest, daß Fries man verzeihe die Wiedergabe des folgenden - seinen eigenen Kot aß, um ihn erbrechen zu müssen. Die Kirche und Gebäude lagen in früher Zeit abseits von den umliegen Dörfern. Der Pfarrer mußte sich wiederholt vor Dieben und sonstigem Gesindel wehren. Am 14. 6. 1703 wurde nachts ein Einbruch in die Kirche verübt, und es verschwanden dabei verschiedene Wertgegenstände. 1804 erfolgte ein überfall auf das Pfarrhaus. Der alte Pfarrer Gebhard hatte - ein gefährliches Unterfangen - bekanntgegeben, daß im Pfarrhaus Geld zum Ausleihen bereit liege. Die rheinischen und niederländische Räuberbanden trieben überall ihr Unwesen. Infolge des Krieges Konnten Zucht und Ordnung nicht genügend gehandhabt werden. Eine Gendarmerie gab es nicht. Die Verbrecher konnten über die nahen Grenzen kommen. Auch die im Wald versteckt liegende Tiefenbach und war unsicher und verrufen, von wo aus oft Straßenraub begangen wurde. Von dder Schmelz aus machten die Räuber ihre Raubzüge.

Angelockt durch die Bekanntmachung des Pfarrers drangen nun in der Nacht auf Himmelfahrt 1804 etwa 20 verkleidete und entstellte Männer vom Garten aus durch das Fenster in die Wohnstube des Pfarrers gewaltsam ein, überfielen den in der anliegenden Schlafstube schlafenden Pfarrassistenten Gebhard, knebelten ihn und seine Frau, deckten sie mit Bettkissen zu und warfen ein kleines Kind aus der Wiege unter den Tisch. ähnliches widerfuhr der Magd. Die der Haushälterin damals zugefügten Mißhandlungen waren aber so schwer, daß sie nach einem Jahr an deren Folgen verstarb. Der alte Pfarrer Gebhard war gerade abwesend. Er hatte einen Tag zuvor einen Ritt nach Gießen zum Himmelfahrtsmarkt gemacht, sein Geld mitgenommen und es bei der Chausseebaukasse angelegt. So entging er selbst dem Schrecken - sein Geld den Räubern. Diese mußten sich mit etwa 700 Gulden begnügen, die der junge Gebhard liegen hatte. Wer die Räuber waren, ist nicht an den Tag gekommen, man vermutet, daß es Leute der hiesigen Gegend waren. Eigentümlich soll sich der im Stall schlafende Knecht benommen haben. In einer schweren Krankheit soll auch eine Frau viel von dem überfall gesprochen haben; sie konnte sich aber später nicht mehr daran erinnern. Der schreckliche überfall veranlaßte den Pfarrassistenten Gebhard, Kirchberg zu verlassen. Das Pfarrhaus wurde nun auf jede nur denkhare Weise befestigt. Vor die Fenster des unteren Stockwerkes kamen eiserne Gitter. Die Haustüre wurde mit doppelten
mit Eisenstäben gesichert, desgleichen die Tür zur Wohnstube. Von dem Schlafzimmer führte eine bewegliche Treppe in den zweiten Stock. Zugleich wurde für reichlich Munition gesorgt; stets lagen bis zu 23 Schüsse bereit. Außerdem standen in einem Dachfenster zwei Katzenköpfe, die durch ein bis in die Schlafstube gehendes Seil losgeschossen werden konnten. Wenn sie losgingen, war dies, wie auf Verlangen Pfarrer Klingelhöfers in der Gemeinde gerichtlich bekannt gemacht wurde, ein Zeichne, daß Hilfe nötig war. Demjenigen, der dem Bürgermeister zuerst anzeigte, daß die Kanonen losgegangen waren, wurden 5 Gulden versprochen. Seit dieser Zeit ist ein überfall auf Kirchberg nicht mehr erfolgt.

Das ehemalige Pfarrhaus befand sich einstmals dort, wo heute die Stallungen stehen, über dem Abhang nach dem alten Hof zu. Das jetzige Pfarrhaus wurde im Jahre 1708 erbaut. Im Pfarrwäldchen stand ein Siechenhaus, 1532 erbaut, für die Siechen des Gerichts Kirchberg. Der Hof, der jetzt der Familie Geißler gehört, wird ebenfalls schon früh erwähnt."