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DIE SPÄTGOTISCHE PFARRKIRCHE VON KIRCHBERG A.D. LA
 

Auszüge aus einem Text von Johannes Kögler. Sonderdruck aus: Archiv für hessiche Geschichte und Altertumskunde 53 / 1995




 

1. Kirchenorganisatorischer Hintergrund

Kirchberg gehörte kirchenorganisatorisch zum Dekanat Amöneburg im Archidiakonat des Propstes von St. Stephan im Bistum Mainz und war Mittelpunkt eines Sendbezirks. Die Send(bezirks)kirchen stellen in der Regel die älteste Schicht der Pfarrorganisation dar. Der Zeitpunkt der Gründung der Pfarrei Kirchberg ist nicht bekannt; erstmals erwähnt wird Kirchberg in einer Urkunde von 1226, in der ein Pleban von Kirchberg als Zeuge auftritt.

Der Sendbezirk (Sedes) umfaßsste im 15. Jahrhundert nach dem Synodalregister des Archidiakonats St. Stephan die Siedlungen Burscheid, Daubringen, Duckenbach, Heibertshausen, Kirchberg, Lollar, Mainzlar, Odenhausen, Ruttershausen und Wißmar sowie Salzböden.

Zur Pfarrei Kirchberg gehörten 1577 und vermutlich bereits im späten Mittelalter die Dörfer Daubringen, Lollar, Mainzlar, Ruttershausen und die Stadt Staufenberg. Die Zehnten im Gericht Kirchberg waren im Spätmittelalter von der Pfarrei losgelöst und als Besitz der Herren von Isenburg von diesen an die Schabe, Rolshausen, Rodenhausen und Trohe als Lehen vergeben.

Das Patronat der Kirche von Kirchberg hatten im 15. Jahrhundert und bis zum Aussterben des Geschlechts im 17. Jahrhundert die Schabe zu Staufenberg als nassauisches Lehen inne. Urkundliche Belege für die Ausübung des Präsentationsrechts finden sich für die Jahre 1428, 1439 und 1455. Die Kirche war, wie 1483 einmalig belegt ist, "Unser Lieben Frauen" geweiht, besaß also das Marien-Patrozinium. Von den beiden Nebenaltären war der eine Nikolaus und Katharina geweiht, während das Patrozinium des anderen, sogenannten Rolshausenschen Altars unbekannt ist.

Der Anstoß zur Einführung der Reformation in Kirchberg ist in engem Zusammenhang mit der Reformation der Landgrafschaft Hessen durch Philipp den Großmütigen in den Jahren seit 1526 zu sehen. Da Kirchberg gemeinschaftlich von Hessen und Nassau verwaltet wurcle, ist aber auch der Einfluss Graf Philipps III. von Nassau-Weilburg zu berücksichtigen, der in seiner Grafschaft erst nach 1532 mit der Einführung der Reformation begann. Als "Reformator von Kirchberg" wird Heiderich Grebe (ca. 1485 - ca. 1536) genannt. Grebe war Erzieher des Landgrafen Philipp, von ca.1520 - 26 Altarist des St. Georg-Altars in der Marburger Schloßkirche und evangelischer Schlossprediger in Marburg von 1526-33. 1527 wurde er in Marburg als Pastor Kirpergensis immatrikuliert. Grebe wohnte jedoch nicht in Kirchberg, sondern in Marburg. Sein Amt als Pastor von Kirchberg hatte er nachweislich bereits im Jahr 1515 inne.




Die spätgotische Hallenkirche zu Kirchberg

Im 15. und 16. Jahrhundert befand sich das Gericht Kirchberg unter der gemeinsamen Landesherrschaft der Landgrafschaft Hessen und der Grafschaft Nassau-Weilburg, wobei eine tendenzielle Vormachtstellung Hessens zu beobachten ist, die sich mit dem Erwerb Staufenbergs im Jahr 1450 verstärkte. Ein Teil des Gerichts Kirchberg war als Lehen in niederadliger Hand. Kirchberg besaß sowohl in politischer als auch in kirchlicher Hinsicht eine begrenzte Mittelpunktfuntion: politisch als (ehemaliger) Mittelpunkt des Gerichtsbezirks und kirchlich als Mittelpunkt des Send- und des Pfarreibezirks. Diese Funktionen manifestierten sich in der Abhaltung des weltlichen Gerichts und des geistlichen Sendgerichts in Kirchberg und nicht zuletzt im regelmäßigen Besuch der Messen durch die Bevölkerung der zugehörigen Orte. Als Pfarrei war Kirchberg mit folgenden Rechten und Funktionen ausgestattet: Seelsorge (cura animarum), Taufe (baptisterium), Begräbnis (cimiterium oder sepultura) und Zehnterhebung. Die Patronatsherren, die Schabe, lenken den Blick auf Burg und Stadt Staufenberg. Zusammen mit weiteren niederadligen Familien - neben den Schabe besonders die von Rolshausen, weiterhin die Rau von Holzhausen und Schutzbar genannt Milchling - stellen sie sich durch das Anbringen von Wappen am Kirchenbau dar und verleihen damit ihrer Rolle als Stifter Ausdruck. In Kirchberg lässt sich damit von einem "Stifterkollektiv sprechen, wobei die einzelnen Stifterfamilien nur in einem lockeren, nicht rechtlich organisierten Verhältnis zueinander stehen. Das Auftreten dieser Stifter in Kirchberg lässt sich entweder durch einen direkten Bezug zu Kirchberg erklären (Patronat, Grablege) oder indirekt über einen Bezug zu Staufenberg (Burgmannschaft, Pfandinhaberschaft). Im Gegensatz zu den niederadligen Stifterfamilien manifestiert sich die Landesherrschaft nicht am Kirchenbau.

Die Kirche von Kirchberg ist als Hallenkirche im ländlichen Bereich zunächst grundsätzlich erklärungsbedürftig. Ein weiterer Erkärungsbedarf besteht für die spezielle Form der symmetrisch-zweischiffigen Halle. Das Vorkommen von zweischiffigen Hallenkirchen ist im hessischen bzw. mittelhessischen Raum gerade kein typisches Phänomen, sondern eher selten. Die Situation ist daher schwer vergleichbar mit Regionen, in denen eine Häufung des Typus als auffälliges Phänomen benannt werden kann wie beispielsweise in Österreich und im Eifel-Mosel-Gebiet. Doch selbst für diese Gebiete bietet die Forschung, wenn überhaupt, nur wenig befriedigende Erklärungsmodelle an. In der hier behandelten Region müssen daher individuelle, d.h. für jede Kirche aus der spezifischen Situation heraus begründete Erklärungen gefunden werden. Bezogen auf Klrchberg kann ein Interpretationsversuch nur durch die Kombination verschiedener Erklärungsansätze geleistet werden.
Die Funktion als alte Pfarr- und Sendkirche kann als allgemeine Erklärung für das Vorhandensein eines "höherwertigen, über den verbreiteten Dorfkirchentypus der Saalkirche hinausgehenden Kirchenbaues dienen. In dieser Beziehung entspricht die aufwendigere architektonische Gestalt der Kirche ihrer tatsächlichen kirchenrechtlichen Bedeutung und Funktion. Um im ländlichen Sakralbau ein gehobenes Anspruchsniveau zum Ausdruck zu bringen, stand zum Ende des Mittelalters bzw. in der Spätgotik vor allem die Bauform der Hallenkirche zur Verfügung. Der Typus der dreischiffigen Hallenkirche mit Turm kann in dieser Zeit als Vorbild bzw. als Leitform der Stadtkirche gelten. Ein städtischer Anspruch kann mit Kirchberg jedoch - im Gegensatz etwa zu Reichelsheim, Rodheim und Schweinsberg - schon aufgrund des fehlenden Siedlungszusammenhangs vordergründig nicht in Verbindung gebracht werden. In Staufenberg wurde etwa zur selben Zeit wie in Kirchberg an einer Kapelle gebaut, die zwischen Burg und Stadt lag, jedoch stärker dem Burgbereich zuzuordnen ist. Es handelte sich um den einfachsten Typ der Saalkirche, einen Rechtecksaal ohne abgesetzten Altarraum. Als Filialkirche gehörte die Staufenberger Kapelle zur Pfarrei Kirchberg und wurde somit von einem der drei Kirchberger Priester betreut. Werden diese Umstände in Betracht gezogen, so ist es auffällig, dass sich das Interesse der in Staufenberg ansässigen Stifter fast ausschließlich auf die Kirche in Kirchberg richtet und nicht auf die Kapelle innerhalb des Siedlungsgefüges von Burg und Stadt. Das starke Interesse an Kirchberg kann nur mit der gehobenen kirchenrechtlichen Stellung der Kirche, mit der Funktion und Tradition als Sendort und als Pfarrkirche begründet werden. Kirchberg besaß als Pfarrkirche u.a. das Begräbnisrecht und war daher mit seinem Friedhof der Begräbnisort für die eingepfarrten Orte. Die Grablegen einiger Stifterfamilien können hier nachgewiesen oder vermutet werden.

Am spätgotischen Kirchenbau von Kirchberg manifestiert sich eine Überlagerung verschiedener Anspruchsebenen: Auf die Send- und Pfarrkirche in Kirchberg wird durch die Realisierung einer aus der städtischen Sakralarchitektur entlehnten Bauform, der Hallenkirche, zusätzlich ein städtischer Anspruch übertragen, der sich nur über die Verbindung zu Staufenberg begründenlässt. Was hier geschieht, ist die bewusste Verbindung bzw. Konzentration unterschiedlich gearteter Bedeutungsebenen an einem Ort und an einem Bauwerk durch die Wahl einer ganz bestimmten Architekturform, nämlich der der Hallenkirche. Auf die Perspektive der Stifter übertragen beinhaltet dies eine Vereinnahmung der kirchlichen und geistlichen Bedeutung von Kirchberg für Burg und Stadt Staufenberg.

Uberspitzt und vereinfacht formuliert hieße das: Kirchberg wurde zur Stadtkirche für Staufenberg gemacht. Warum die Kirche von Kirchberg als zweischiffige und nicht als dreischiffige Hallenkirche realisiert wurde, lässt sich mit den vorgeschlagenen Modellen bisher nicht erklären. Als Ergebnis kann jedoch festgehalten werden, dass der Typus der zweischiffigen Hallenkirche nicht unbedingt als Reduktionsform des dreischiffigen Typus zu verstehen ist. Der Typus der dreischiffigen Hallenkirche überwiegt im städtischen Bereich klar. Im ländlichen Bereich wird für Kirchen mit gehobenen Anspruchsniveau jedoch sowohl der zweischiffige als auch der dreischiffige Typus verwendet, ohne dass der zweischiffige Typus deutlich mit einem reduzierten Anspruch bzw. Status in Verbindung gebracht werden kann. Begründungen, die mit eher praktischen Argumenten arbeiten (eingeschränkter Bauplatz, Vorgängerbau, Turm), sind für Kirchberg ebenso zu verwerfen. Die Realisierung einer dreischiffigen Anlage wäre mit veränderten Proportionen oder unter Einbeziehung des Turmes in ein Seitenschiff durchaus möglich gewesen. Es ist davon auszugehen, dass die zweischiffige Halle in Kirchberg so intendiert war, wie sie ausgeführt wurde. Die einheitliche Gesamtkonzeption von Gemeinderaum und Chor wird auch von einigen Unregelmäßigkeiten am Bau nicht in Frage gestellt. Als Anhaltspunkt zur Erklärung der Zweischiffgkeit in Kirchberg bleibt der Gedanke des profanen Elementes, das besonders mit der zweischiffigen Halle in Verbindung gebracht wird. Die Frage, ob sich der zum Profanbau tendierende Charakter der zweischiffigen Halle in Kirchberg mit der besonderen Rolle der niederadligen Auftraggeber erklären lässt, muß jedoch offengelassen werden.