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KIRCHLICHE VERHÄLTNISSE |
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Christianisierung und "katholische Zeit"
aus: Reinhold Huttarsch und Michael Müller: Lollar beiderseits der Lahn, Lollar 1984
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In einem engem Zusammenhang mit der Erweiterung des fränkischen Herrschaftsgebietes nach Osten steht die Ausbreitung des Christentums. Wann die Christianisierung unserer Heimat erfolgte, kann nicht genau gesagt werden, wir gehen aber nicht fehl, wenn wir sie kurz vor oder in die Zeit der Missionstätigkeit des Angelsachsen Winfried (Bonifatius) verlegen, der bei seinem Eintreffen in Hessen im Jahre 721 auf der fränkischen Militärfestung Amöneburg bereits Christen antraf. Auch die um 720 begonnene fränkische Straßenfestung über der Salzböde bei der Schmelz hatte eine Kapelle, was aus dem freigelegten halbrunden Mauerwerk im Walde hervorgeht. Die Kirche von Wieseck, die inmitten eines Herrenhofes stand, gründeten iroschottische Mönche, und es wäre denkbar, daß jene Wanderprediger auch an die Lumda und Salzböde kamen. Einer Gottheiten verehrenden und von deren Walten und Wirken durchdrungenen Bevölkerung eine andere Religion zu bringen, ist keine leichte Angelegenheit. Eine erfolgreiche Missionierung erfordert nicht nur Eifer, Opferbereitschaft und Überzeugungskraft, sondern auch und vor allem Einfühlungsvermögen und Wissen um die Grenzen dessen, was dem Andersdenkenden noch zumutbar ist.
Papst Gregor der Große (590 604) empfahl in einem Schreiben an einen angelsächsischen Bischof, die Kultstätten der Heiden nicht zu zerstören, sondern sie dem neuen Glauben zuzuführen, da das Volk, dem man nicht alles auf einmal nehmen könne, sich dann an den gewohnten Orten nach alter Sitte einfinden werde. Nehmen wir also an, daß das erste Gotteshaus auf dem Kirchberg über einem alten Opferstein in einem heiligen Hain errichtet wurde und daß der Priester des neuen Heiligtums bei den Neubekehrten zunächst geduldet habe, was er hätte bekämpfen müssen. Der Prozeß der Christianisierung dauerte nämlich generationenlang, Reste vorchristlicher Glaubensanschauungen haben sich in gewissen Formen bis heute erhalten, sei es als Aberglaube, sei es als christlich verbrämtes Brauchtum.
Wird auf einer Synode im 8. Jahrhundert darauf hingewiesen, daß das Volk Totenopfer, Losdeuterei, Zauberei, Wahrsagerei, Beschwörungen u. a. abzustreifen habe, so müssen tausend Jahre später die evangelischen Pfarrer von Kirchberg noch immer angehen gegen Wahrsagerei, Zauberei und Wundergläubigkeit. 1653 ordnet zum Beispiel Superintendent Haberkorn einen Bußtag an, weil sich viele mit dem "abscheulichen Laster der Hexerei" besudelt hätten. Gegen die "Lieh", eine Art Brautkauf in der Walpurgisnacht, war allerdings kein Kraut gewachsen, sie wird heute noch geübt.
Unter welchen Umständen das Kreuz bei uns aufgerichtet wurde, ob auf obrigkeitlichem Befehl, ob durch Iroschotten, ob durch Angelsachsen, ob von Mainz Fulda aus, ob von Trier, eines gilt heute in Forscherkreisen als gesichert: nach 750 waren das westliche Vorland des Vogelsberges, waren die Täler von Lumda und Salzböde wie das Gießener Becken bereits christlich geworden, und die Pfarrorganisationen hatten einen Stand erreicht, der später keiner allzugroßen Veränderungen mehr bedurfte. Aufhorchen lassen die ersten schriftlichen Quellen, die bekunden, daß das so bedeutende Reichskloster Fulda wenige Jahre nach seiner 744 erfolgten Gründung bereits in Salzböden begütert war.
Zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert finden wir Klostergut in Daubringen, Mainzlar und anderen Orten des Lumdatales. Sicherlich gehörte dem Kloster auch der Staufenberg, denn die auf dem Felskegel errichtete Burg besaßen die Grafen von Ziegenhain als Lehen der Äbte von Fulda. Noch im 15. Jahrhundert sind fuldische Lehensbeziehungen als sogenannte "Ziegenhainer Besitz" in Lollar, Einshausen (später wüst geworden), Altenstruth (ebenfalls nicht mehr bestehend), Mainzlar und Daubringen nachweisbar. Hier sei auch kurz erwähnt, daß in einer Urkunde von 1196 Papst Cölestin II. dem Kloster Spießkappel in Niederhessen u. a. ein Gut in Salböden bescheinigt.
Urkundlich wird die Kirche Kirchberg erstmals 1226 greifbar. In jenem Jahr unterschreibt bei einem Vergleich in einem Güterstreit zu Grünberg unter anderem ein Plebanus Reinherus de Kyrberg als Zeuge. Der Pleban Rainer muß demnach der "residierende Pfarrer" von Kirchberg gewesen sein, ein Geistlicher also, der sein Amt auch tatsächlich ausübte.
Zum Sendbezirk der Mutterkirche Kirchberg gehörten die Orte Lollar, Ruttershausen, Odenhausen, Salzböden, Weimar, Mainzlar, Daubringen, Heibertshausen sowie die später wüst gewordenen Siedlungen Burschied und Dickenbach. Allerdings zählen 1396 zum Kirchspiel nur noch die Orte Lollar, Ruttershausen, Mainzlar, Daubringen, Heibertshausen, Dickenbach und Einshausen. Zur Pfarrei gehörte auch Staufenberg, war aber vom Sendgericht Kirchberg frei. Erst nach dem Erwerb durch Hessen im Jahr 1450 trat es voll in den Verband des Kirchspiels ein.
Was zur Aufteilung des alten Kirchspiels führte, wissen wir nicht. Vielleicht war es zu groß, vielleicht war es der Wunsch des Grundherrn, im unteren Salzbödetal die beiden Kirchberger Tochterkirchen in einer eigenen Pfarrei vereinigt zu sehen. Die unmittelbare Nachbarschaft von Gotteshaus und ehemaligem Gutshof sowohl in Odenhausen wie auch in Salzböden läßt an Eigenkirchen denken, die ursprünglich innerhalb eines fränkischen Gutshofes standen und die von ihren Besitzern verschenkt werden konnten.
Für Odenhausen ist 1256 ein eigener Pfarrer vermerkt, und noch vor 1353 muß die Abtrennung von Weimar erfolgt sein. Für Salzböden, das um 1250 wohl schon eine eigene Kapelle besaß, war ein Kaplan zuständig, der als sogenannter "Frühmesser" an Sonn und Feiertagen zunächst auf dem Gleiberg den Gottesdienst hielt und sich dann zu demselben Behufe nach Salzböden begab; aber auch der Pfarrer von Odenhausen betreute den Ort. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts erfolgte die Angliederung Salzbödens an die Pfarrei Odenhausen. Im Mittelalter gehörte die Großpfarrei Kirchberg wie auch die später selbständige Pfarrei Odenhausen/Salzböden zum Dekanat Amöneburg des Archidiakonats St. Stephan im Erzbistum Mainz. (Der Mainzer Dom ist den beiden Heiligen Martin und Stephan geweiht.) Kirchberg war Sedes, das heißt ein Sendgerichtssprengel, ein Pfarrort, an dem das geistliche Gericht dreimal im Jahr zusammentrat, um die würdige Verwahrung des Altarsakraments, die Einhaltung der hohen Feiertage, die Entrichtung der Zehnten und Opfer, die Verwendung des Kirchengutes u.a. zu überprüfen. Der Mutterkirche oblag die Seelsorge, das Tauf und Begräbnisrecht und das Spenden der Sakramente.
Von 1495 bis 1508, also noch in "katholischer Zeit", wurde das jetzige Gotteshaus auf dem Kirchberg errichtet, das "Unserer lieben Frau" geweiht war. Der Turm des Vorgängerbaus mit den Glocken blieb bestehen. Auf dem von einer hohen Mauer umgebenen, wehrhaftem Kirchhof mit überdachtem Eingangstor erhob sich eine Kapelle, nach Meinung Sachverständiger, eine Michaeliskapelle. Neben diesen Sakralbauten und dem Pfarrhaus mit den Wirtschaftsgebäuden befanden sich noch ein Vikarienhaus (Priesterhaus), ein haus für den Opfermann (Kirchenrechner) und an der alten Landstraße ein Wirtshaus. Unterhalb der Kirche stand ein bäuerliches Anwesen, der sogenannte "alte Hof". Bis um 1820 hatte an der Straße "auf der Dreispitze, welche der nach Staufenberg führende Weg und die nach Marburg laufende Chausee bilden", ein weiteres Haus gestanden. Es wurde abgebrochen und bei Heuchelheim wieder aufgebaut, wo es später als "Windhof ' oder "Westfälischer Hof" bekannt war.
Lange Zeit glich Kirchberg also einer kleinen Siedlung. Die Pfarrei saß nicht geringe Einkünfte und Stiftungen. So erinnert der Name "Pfarrwäldchen" für die Holzmühler Tannen bei Lollar an einstigen Kirchenbesitz. Den kirchlichen Dienst versahen mehrere Geistliche. Außer dem Hauptaltar der heiligen Jungfrau gab es noch den Nikolaus und Katharinenaltar, an denen zwei nicht fest angestellte Geistliche, sogenannte Altaristen, die heiligen Handlungen vollzogen. Sie lasen wohl auch die Seelenmessen in der Kapelle auf dem Kirchhof und betreuten die Filialen in Mainzlar, Lollar und Staufenberg, die für die alten und kranken Leute, denen der Weg nach Kirchberg nicht zugemutet werden konnte, entstanden waren. In Lollar fand gegen Vergütung einmal in der Woche ein Gottesdienst statt. Die Kapelle in Mainzlar entstand vielleicht schon im 11. Jahrhundert, die in Lollar vor 1480 und die in Staufenberg um 1500.
Das Patronat in Kirchberg, also die Schutzherrschaft, die das Besetzungsrecht der Pfarrstelle einschloß, stand wohl schon seit dem 15. Jahrhundert den Herrn von Schabe zu Staufenberg zu. 1579 erscheint als Patronatsherr Friedrich von Rolshausen, 1638 Johann Wolf von Weitolshausen, Kommandant der Festung Gießen und Besitzer der Badenburg. Noch bis ins 18. Jahrhundert besaßen die Herren der Badenburg in Kirchberg einen besonderen Stuhl. Zu Anfang des 17. Jahrhunderts kam das Besetzungsrecht der Pfarrstelle (Kollatur) an die Landgrafen von Hessen.
Das Pfarrbesetzungsrecht der Kirche in Odenhausen stand den Grafen von Nassau Weilburg zu, zeitweise in Verbindung mit den Herrn von Rolshausen, denen bis ins 16. Jahrhundert die Hälfte des Dorfes gehörte. Wenn 1232 sich Einwohner von Krofdorf unter den Besuchern des Grabes der heiligen Elisabeth in Marburg befinden, so können wir getrost annehmen, daß auch Gläubige von Lollar und den anderen Nachbarorten nach Marburg pilgerten, um dort Heilung von mancherlei Gebrechen und Nöten zu erflehen. Ziel frommer Wanderschaft war sicher auch die Wallfahrtskapelle unweit von Fronhausen, die beim Brackenborn (Freudenhorn) stand und einen "Unserer lieben Frau Sankt Annen" geweihten Altar hatte. Die Geldeinnahmen waren beträchtlich und bildeten eine Zeitlang den Großteil der Einkünfte des Pfarrers von Fronhausen. 1772 erinnerten nur noch die Steine an die einst vielbesuchte Stätte. Auch das Kloster Hachborn im nahen Ebsdorer Grund wird heimische Pilger angezogen haben, zumal man doirt leicht einen Nachlaß von Sündenstrafen erlangen konnte, war doch dem Kloster nach einem Brand des Jahres 1252 ein Ablaßbrief verliehen worden. 1327 erhielt jedoch die Kirche Kirchberg ebenfalls eine bedeutsame Auszeichnung, die nebenbei auch Einnahmen erbrachte. Ihr wurde vom Papst in Avignon ein Ablaßbrief ausgestellt, der heute noc hexistiert. Unten sind ihm Bestätigungen von deutschen Bischöfen angenäht, rechts vom Erzbischof und Erzkanzeler des Deutschen Reiches, Gerlach von Mainz (1355 im Kloster Arnsburg ausgestellt) und links von Weihbischof Hermann. In dem Brief wird ein Ablaß von 40 Tagen gewährt für alle, welche die Kirche Kirchberg oder die Kapelle in Wißmar an einem Sonn oder Feiertag besuchen, der Monstranz oder dem heiligen Öl, das zu den Kranken gebracht wird, nachfolgen oder beim Nachtläuten auf die Knie fallen und drei Ave Maria beten oder auf dem Sterbebett eine Stiftung machen und für Licht und andere Bedürfnisse sorgen. Auf der dem Ablaßbrief beigefügten Bestätigung gewährt der Mainzer Weihbischof Hermann zur Förderung des Marienkults allen, die in Staufenberg beim Abendläuten drei Ave Maria mit gebeugten Knien beten, einen Ablaß von 40 Tagen. Ausgestellt wurde dieser Anhang am 27. Juli 1390 in Salzböden! Im Gegensatz zu den anderen christlichen Bekenntnissen versteht die katholische Kirche auch heute noch unter Ablaß die Löschung zeitlicher Sündenstrafen, als deren Bedingung Gnadenstand und die Verrichtung besonderer Werke gelten.
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Nach der Reformation
Eine Entscheidung von weitreichender Bedeutung war die Einführun der Reformation durch Landgraf Philipp den Großmütigen (1504 1567) auf der Synode in Homberg an der Efze am 21. Oktober 1526. Kurz danach dürfte auch im Kirchspiel Kirchberg das neue Bekenntnis Eingang gefunden haben. Wahrscheinlich trat der damalige katholische Pfarrer Heydrich Grebe zum evangelischen Glauben über. In Nassau Weilburg fand unter Graf Philipp III. (1523 1559) die Reformation ebenfalls frühen Eingang. Der letzte "Frühmesser" von Gleiberg/Salzböden, Johann Eich, trat zum neuen Glauben über, und Odenhausen erhielt in der Person des Johann Wöcker aus Kassel seinen ersten evangelischen Pfarrer. Nun gab es auf vielen Gebieten Veränderungen. Die Gotteshäuser wurden den Reformen angepaßt und verschiedene Kultgegenstände entfernt. Aber auch das kirchliche Gemeindeleben erfuhr eine grundlegende Umwandlung.
Da das Lesen der Heiligen Schrift eines der Hauptanliegen Martin Luthers war, entstanden allenthalben Schulen, in Kirchberg 1578, in der nach der Bibel und dem Katechismus Lesen und Schreiben gelehrt, Kirchengesang und ein wenig Latein betrieben wurde. Für die Gleiberger Lateinschule, in der es zeitweise sogar Griechisch gab, hatten auch Odenhausen und Salzböden Beiträge zu zahlen. 1532 entstand in Kirchberg ein Siechenhaus, an das heute noch der Flurname "Siechgarten" erinnert. Wann diese Zufluchtsstätte für Kranke, Elende und Arme verschwunden ist, bleibt im dunkeln. Kirchenvisitationen und Prüfungen der gesamten Gemeinde sorgten für die Festigung der evangelischen Glaubensrichtung in der Bevölkerung.
Die "Nassauer Kirchenordnung" von 1533 und die 1539 erlassene "Ziegenhainer Zuchtordnung" schufen das Amt der Kirchenältesten (Kirchenvorsteher) oder Senioren, in das nur ehrenwerte Männer aus angesehenen Familien berufen wurden. Der Seniorenkonvent verhing harte Strafen, und es spricht für die Unerschrockenheit der Senioren, wenn sie 1646 sogar einem Mitglied der adeligen Familie von Rolshausen wegen eines sittlichen Fehltritts öffentliche Kirchenbuße auferlegten. Einige Beispiele aus alten Konventsprotokollen sollen zeigen, wie damals christliche Zucht geübt wurde: Uneheliche oder voreheliche Mütter wurden mit brennenden Kerzen in der Hand vor dem Altar der Gemeinde vorgestellt. Ein junges Paar, das besonders tiefgefallen war, erhielt eine Turmstrafe von acht Wochen und durfte ein Jahr lang nicht in ehrlicher Gemeinschaft verkehren.
Mädchen, die sich mit fremden Soldaten eingelassen hatten, mußten auf dem Kirchhof Spießruten laufen sie wurden also ausgepeitscht. Burschen, die sich in der Kirche getreten hatten, züchtigte man wie in ihrer Schulzeit im Schulsaal. Wer in der Kirche nach Tabak stank, durfte nicht zum Abendmahl. Ein Schmied mußte wegen Wahrsagerei und "Hexenschlagens" nach Verbüßung einer dreiwöchigen Gefängnisstrafe an drei Sonntagen mit brennender Kerze öffentlich zu Kirchberg Buße tun. Personen, die einen Nachttanz in einer Stube zu Salzböden hielten, kamen ins Gefängnis. Ein Mann, der während der Predigt im Wirtshaus saß, hatte einen Ortsgulden zu zahlen. Uns mag heute befremden, daß sich die Bevölkerung ohne Murren den Anordnungen der Senioren unterwarf. Es waren eben andere Zeiten.
Mit der stufenweisen Auflösung der Kirchenzuchtordnung in den Jahren 1749 und 1790 begann ein, wie Pfarrer Metzler bemerkt, "aktenmäßig nachweisbarer Niedergang der Sitten". Durch Verordnungen, die zum Beispiel den Vollzug einer Eheschließung genau festlegten, die Zahl der Gäste bei Hochzeiten und Kindtaufen bestimmten, überflüssigen Aufwand bei Begräbnissen unterbanden, versuchten die Landesfürsten dem "Verfall der Moral" Einhalt zu bieten.
Die Kirchengemeinden überstanden den 30 jährigen Krieg mit all seinen Brandschatzungen, Plünderungen und Seuchen. Der Odenhäuser Pfarrer flüchtete wegen der Pest nach Hohensolms, wo er 1646 starb; 1631 wurden die Kirchberger Kirchenbücher zur Sicherheit in die Festung Gießen gebracht; 1647 brannte Kriegsvolk alle Gebäude bei der Kirche Kirchherg nieder, daß der Pfarrer vier Jahre lang auswärts wohnen mußte. Ebenso gingen die unruhigen Zeiten des späten 18. und des frühen 19. Jahrhunderts vorüber mit ihren Truppendurchzügen, Kontributionen und Drangsalen verschiedener Art. Die Pfarrer hatten meist die Offiziere der durchziehenden Heere zu beherbergen und zu verköstigen.
Die Besoldung der Pfarrer war im 18. Jahrhundert anders geregelt als heute. Oft konnte der Pfarrer die neue Stelle nur antreten, wenn er die Witwe seines Vorgängers heiratete oder für sie anderweitig sorgte. Außer der staatlichen Vergütung in Nassau 300 fl. jährlich hatte er Anspruch auf Waldmastung seiner Schweine, auf Gras, Heu und Holz und auf Naturalabgaben wie Federvieh, Eier und Butter. Die Odenhäuser Pfarrei galt als die geringste im dortigen Amtsbezirk, die Kirchberger hingegen war als gute Pfründe begehrt. An Sonntagen wurde bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts in Odenhausen und Salzböden wechselweise der Gottesdienst gehalten, an hohen Feiertagen jedoch morgens und mittags in beiden Kirchen. An Sonntagnachmittagen gab es noch dazu eine Katechismusstunde für die ganze Gemeinde, bei der die Leute auch über die gehaltene Morgenpredigt befragt wurden. Seit über 100 Jahren werden die sonntäglichen Gottesdienste in beiden Orten gehalten. Kirchen und Pfarreien zogen nicht selten Einbrecher an. 1655 stahlen "diebische Soldaten" aus der Salzbödener Kirche Abendmahlskelch und Abendmahlskanne, 1703 wurden aus der abgelegenen Kirche Kirchberg verschiedene Wertgegenstände geraubt, und 1804 entwendeten 20 Räuber aus dem Kirchberger Pfarrhaus 700 Gulden, warfen das Kleinkind aus der Wiege, knebelten den Pfarrassistenten, seine Frau und die Magd und mißhandelten die Haushälterin so, daß sie später starb. Neue Pfarrhäuser entstanden in Odenhausen, nachdem die alten kaum noch bewohnbar waren, in den Jahren 1585, 1731 und 1959. Von dem ersten Kirchberger Pfarrhaus hat sich noch ein Keller unter dem Nebengebäude nördlich der Kirche erhalten. Das jetzt von einem Privatmann bewohnte stilvolle Fachwerkhaus von 1718 diente bis 1975 als Pfarrei. Die oberste kirchliche Aufsicht führten seit der Reformation die Landesherren von Hessen Darmstadt, beziehungsweise Nassau Weillburg. Für Odenhausen/Salzböden war die oberste kirchliche Behörde das Konsistorium in Weilburg. Seit 1816 zählt die Pfarrei Odenhausen zum Synodalbezirk Wetzlar der Evangelischen Kirche im Rheinland, dessen Konsistorium seinen Sitz seit 1826 in Koblenz hat. Das Kirchspiel Kirchberg unterstand von 1567 bis 1604 dem streng lutherischen orthodoxen Landgrafen Ludwig IV. in Marburg, nach seinem Tode endgültig 1648 kam es an die Lutherische Landeskirche von Hessen Darmstadt. Seit 1602 gab es in Gießen eine Superintendentur, die in Konvente, und die wiederum in Seniorate unterteilt waren. 1833 wurde Kirchberg dem neugebildeten Inspektorat seit 1838 Dekanat Gießen zugeteilt. Bei der Umorganisation der Evangelischen Landeskirche von Hessen und Nassau schuf man 1950 als Teil des Visitationsbezirks Oberhessen ein neues Dekanat Kirchberg, da mit dem alten Kirchspiel nur den Namen gemeinsam hat, denn es umgreift nicht nur das untere, sondern auch das mittlere Lumdatal sowie die Wiesecker Talschaft.
Immerhin lebt der geschichtsbeladene, ehrwürdige Name Kirchberg als Bezeichnung für einen größeren, mehrere Pfarreien umfassende Bereich weiter. Wegen der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts infolge des Eisenwerkes rasch angestiegenen Einwohnerzahl von Lollar erhielt die Pfarrrei Kirchberg im Jahre 1909 eine Pfarrassistentenstelle mit Sitz in Lolllar. Die Gottesdienstordnung blieb aber noch jahrzehntelang erhalten: nur alle zwei Wochen Gottesdienst und Abendmahl in der Lollar Kapelle.
Auf Grund einer 1949 von Pfarrer Friedel Nies verfaßten Denkschrift wurde die Pfarrassistentenstelle zur "Pfarrei Kirchberg II mit Sitz Lollar" aufgewertet, zählte doch Lollar inzwischen 4 000 Einwohnt Ein eigener Kirchenvorstand beschloß als erstes den Bau eines Pfarrhauses in der Daubringer Straße. Am 6. September 1959 fand die Weihe der neuen Kirche statt, und mit dem 1. August 1970 erhielt die "Pfarrstelle Kirchberg II" nunmehr als "Kirchengemeinde Lollar" die Selbständigkeit. Die ehemalige Mutterkirche an der B 3 ist jetzt Pfarrkirche der evangelischen Kirchengemeinde Ruttershausen Kirchberg, deren Pfarrei allerdings im neuen Pfarrzentrum in Staufenberg liegt, wo sich auch das wertvolle Pfarrarchiv befindet. Seit der Reformation galten Lollar, Ruttershausen, Odenhausen und Salzböden als fast rein evangelische Ortschaften. Der jüdische Anteil war gering (1905 in Lollar insgesamt 28 Personen, 1933 deren 12). Auf der Anhöhe nach Staufenberg gab es einen eigen eigenen jüdischen Fried und um 1848 entstand in einem engen Hinterhof in Lollar ein kleiner Kultraum. 1906 hatte die Gemeinde Lollar den jüdischen Einwohnern erlaubt, bei Beerdigungen das Kreuz auf dem gemeindeeigenen Leichenwagen mit einer Krone auszutauschen, und noch 1930 leistete sie einen finanziellen Beitrag zur Renovierung der bescheidenen Synagoge. Seit 1933 wanderten die meisten Lollarer Juden infolge der nationalsozialistischen Rassenpolitik aus oder suchten Schutz und' Versteck in größeren Städten. 1942 wurden die letzten vier noch in Lollar verbliebenen jüdischen Mitbürger abtransportiert, darunter ein mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichneter Kriegsteilnehmer 1914/1918. Sie sind wohl der Vernichtungsmaschinerie des Dritten Reiches zum Opfer gefallen.
Als nach dem Ende des zweiten Weltkrieges Heimatvertriebene aus den jahrhundertelang deutsch besiedelten Gebieten im Osten eine neue Heimat fanden, änderte sich schlagartig die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung, denn die Neuaufgenommenen waren fast durchweg katholisch. Hatten auch die evangelischen Gemeinden ihre Kirchen den katholischen Glaubensbrüdern für gottesdienstlichen Handlungen zur Verfügung gestellt, so entstanden doch bald eigen Sakralbauten: 1951 in Lollar die Kirche St. Josef mit Pfarrei, der sich 1972 ein Pfarrzentrum hinzugesellte, und 1961 auf der Röderheide die Kirche St. Johannes der Täufer.
Die katholische Kirchengemeinde Lollar, die sich auch auf Ruttershausen, Staufenberg, Daubringen, Mainzlar, und Treis erstreckt, gehört zur Diozöse Mainz, während die Kirche auf der Röderheide, für die Gläubigen in Odenhausen und Salzböden errichtet und von der Pfarrei Wißmar betreut, Teil der Diozöse Limburg ist.
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